Kleine Trainingslehre und Systematik
Warm-Up Phase
Das Aufwärmen besteht nicht nur aus klassischen Muskeldehnungs- und Kraftübungen, die den Körper erwärmen sollen, sondern zusätzlich aus einer Reihe an Übungen, die das Gleichgewicht schulen und den Kreislauf anregen. Somit finden sich „aufheizende“ und „beruhigende“ , lockernde und kräftigende Übungen im typischen Warm-up. Die verschiedenen Bereiche (Lockerung, Kräftigung, Körperbeherrschung/Balance-Training) finden sich teils einzeln, teils vermischt in verschiedenen Übungen wieder. Eine Übung kann somit alle Bereiche gleichmäßig trainieren oder nur einen Aspekt besonders hervorheben.
Generell gilt, dass entweder (a) in einer Übunbg nur ein einzelnes Körperteil gezielt bewegt wird (der restliche Körper ist unbewegt), oder (b) der gesamte Körper synchron bewegt wird (alles startet zusammen und endet zusammen).
Bereiche im Warm-up
- Gelenke lockern
- Muskeln/Sehnen dehnen
- Muskel- und Haltekraft trainieren (Li)
- Stopp-Impuls Übungen (Fajin)
- Übungen für Beweglichkeit und Bewegungssynchronität
- Nei Gong im engeren Sinne
Wie bei jedem „Sport“ stehen an erster Stelle Übungen, die den Körper vor späteren Verletzungen und Überanstrengungen schützen. Hierzu gehören Übungen, welche die Gelenke mobilisieren und lockern, Muskeln und Sehnen dehnen und die die notwendige Haltekraft des Muskelapparates trainieren. Ein ausgeglichenes Aufwärmen wird alle drei Bereiche gleichmäßig beachten und keinen Aspekt auslassen, da für das Training der TCK sowohl Geschmeidigkeit, Flexibilität und Kraft notwendig sind.
Daran anschließend gibt es besondere Übungen für die Ausbildung von Stopp-Impulskraft und Koordnination. Beides sind unabdingbar für eine effektive Körperbeherrschung und Kraftentfaltung, die nicht nur reine Muskelkraft benutzt, sondern auf Körpermechanik und Veränderung der Körperstruktur aufbaut.
Abschließend (d.h. am Ende des Aufwärmens oder am Ende der Trainingseinheit) werden manchmal spezielle Nei Gong / Qi Gong Übungen trainiert. In diesen werden besondere Aspekte der vorherigen Punkte zusammen trainiert, wobei manchmal zusätzlich die Atmung gezielt gesteuert wird. Je nach Stil gibt es darüber hinaus besondere Betonungen von Körperpartien, Bewegungstypen u.Ä. Was diese Gong Übungen weiterhin auszeichnet ist schwer zu definieren, da sie je nach Stil und Hintergrund des Lehrer verschiedene Körperschemata und Bewegungskonzepte ausbilden sollen. Traditionelle Kampfstile unterscheiden sich hier manchmal stark und diese Übungen sind oft der Kern aus dem die prinzipielle Idee des jeweiligen Stils dechiffriert werden kann.
Auch mit diversen Waffen werden diese Aufwärmphasen durchschritten, damit sich der Körper an das Trainingsgerät gewöhnen kann und die Waffe in jeder Bewegung eins mit dem Körper werden kann. Im Xingyi Quan ist besonders das Training mit dem Speer von enormer Wichtigkeit, da im Speertraining schon in den Aufwärmungen die spezielle Kraftentwicklung und –transformation eingeübt werden kann. Der Speer ist in diesem Fall ein echtes Hilfsmittel um die waffenlose Krafterzeugung besser verstehen zu können.
Trainingsphase
Nach der Aufwärmung geht es für gewöhnlich an die eigentliche Techniklehre, d.h. hier werden stiltypische Kampftechniken auf verschiedene Weisen geübt. Im Unterricht kann man folgende Bereiche unterscheiden:
Bereiche im Technik-Training
- Einzeltechniken, solo (Ba)
Im Stehen oder Gehen mit deutlichem Ausdruck der Kraftgenerierung und Krafttransmission. - Technikfluss, solo, beweglich (Ba)
Neben den deutlichen Kraftemissionen, können die Techniken auch so trainiert werden, dass der fließende Übergang und die Kreisbewegungen deutlicher im Vordergrund stehen. „Weg der Klinge“ oder „Weg der Faustkreise“. - Formentraining, solo (Tao Lü)
Formentraining soll den Rhythmus, die Übergange zwischen den Techniken und die Ausdauer in unterschiedlicher Weise trainieren. - „Fäuste Füttern“ (Wei Shou), d.h. Technik-Anwendung mit Partner
Hierbei füttert einer der Partner mit einer bestimmten Angriffstechnik und der andere übt erst eine Kontertechnik, später variable Techniken gegen den Angriff. Das Training zielt nicht darauf ab lange zu „sparren“, sondern kurz und kontrolliert die Techniken auszuführen.
a) Wun Da = kooperatives Training, starten bei Handkontakt
b) Wu Da = kriegerisches Training, starten aus Distanz
5. Formentraining, Partner (Tao Lü)
Vorgefertigte Sets an Angriff und Verteidigung sind nicht der Kern des Trainings, können aber herangezogen werden um die Anwendbarkeit der Techniken im Kampfgeschehen zu verdeutlichen.
6. Freie Anwendungen (Sanshou)
Beim SanShou Training ist das Ziel nicht so lange mit dem Gegner zu spielen, wie es geht, sondern kurze Konfrontationsphasen zu provozieren und zu sehen, wie man wo die gegnerische Struktur brechen kann. Dabei muss nicht immer voller Körperkontakt zum Einsatz kommen.
Hierbeit steht an ersten und obersten Stelle das einfach Solo-Training der Technik. Hier soll der Trainierende den Ablauf der Technik und das passende Körpergefühl verstehen und umsetzen. Einzeltechnikübungen, wie auch alle anderen Bereiche, können im Stand oder mit dazugehörigen Schrittfolgen trainiert werden.
Die Solo-Techniken kann man desweiteren einteilen in „Trockenübungen“, „Nassübungen“ und „Geräteübungen“, d.h. entweder macht man die Übungen alleine (trocken) in der Luft (früher gerne auch „Schattenkampf“ genannt), an einem Partner (nass), oder man macht sie an Bäumen, Matten, Sandsäcken, mit Waffen oder anderem Trainingsgerät (Bleigewichte), um bestimmte Details besonders zu trainieren.
Wenn die Bewegungsabfolge der Technik umgesetzt werden kann, geht es darum den Kraftfluss und die Bogenkreisbewegungen zu vertiefen. Hierfür werden die Techniken etwas „beweglicher“ geübt, dass heißt bestimmte Aspekte (wie z.B. die Gewichtverlagerung oder die Schrittfolge) werden besonders hervorgehoben und betont geübt.
Um sich Techniken und deren Varianten besser merken zu können und um ein Gefühl für die Übergänge zwischen den Einzeltechniken zu bekommen, werden auch so genannte Formen trainiert. „Trockene“ Formen (Tao Lü) sollen dem Trainierenden helfen sich im Raum flexibel von einer Technik zur nächsten zu bewegen und ein Verständnis für längere Kombinationen von Anwendungen aufzubauen.
Alle Techniken versteht man meist besser, wenn man sie am und mit dem Trainingspartner durchführt. Übungen am Partner mit ausreichend Körperkontakt können auch „nasses Üben“ genannte werden, da durch die Spannung und den Reflexdruck normalerweise das Training schwitziger wird. Auch hierbei gibt es mindestens drei Stufen, die ähnliche Prinzipien trainieren sollen, die solo-Stufen. Zuerst das Verständnis des Bewegungsablaufs. Danach die Umsetzung der Kraftsentfaltung und Dynamik in Tao Lüs. Abschließed die Simulation von Attacke- und Paradeserien um ein Gefühl für die Offensive, Defensive und Distanzen zu bekommen.
Bereich Cool-down
Am Ende der Trainingsphase wird manchmal eine abschließende und entspannendere Trainingsphase eingelegt, um den Kreislauf zu regulieren und mental zur Ruhe zu kommen. Dies ist nicht zwangsläufig notwendig, da die Neijia Quan keine Extreme für Körper und Geist während des Trainings provozieren und somit auch keine gegenregulierende Entspannungsphase notwendig ist. Es bietet sich aber an nach intensivem Training von einem Prinzip (z.B. sinkende Kraftentfaltung), das entgegengesetze Prinzip (z.B. aufsteigende Kraftentfaltung) zu üben, damit am Ende der Trainingsstunde kein einseitges Körpergefühl aufkommt.
In dieser Phase bieten sich bestimmte Halteübungen zur Körperstruktursensibilität und weiche langsam wechselnde Standpositionen (gehende Säule) an. Sitzende Übungen mit Bewegung oder San Ti She Stehen (oder vergleichbare Zhan Zhuang stehende Säule Übungen).
Kleine Systematik der chin. Kampfkünste (CK)
Systematiken machen nicht immer Sinn. Das Wissen, dass Tomaten nach biologischer Systematik unter die Obstsorten fallen, bringt einem nur etwas, wenn sich daraus neue Handlungsmöglichkeiten ergeben. Gleiches gilt für die Einteilung der CK.
Was allerdings an einer Systematik der CK sinnvoll sein kann ist, dass man eine grobe Vorstellung davon bekommen kann, woher Stilbezeichnungen kommen und warum auf einige Begriffe und Titel besonders Wert gelegt werden.
Im Gegensatz zu einer biologischen Systematik, in der jedes Lebewesen zwangsläufig in jeder Stufe einer Kategorie zugeordnet sein muss, müssen CK-Stile nicht auf jeder Stufe gefüllt werden. Ein Stil kann auch keiner Ebene zugehören, weil es nur sehr wenige Trainierende an einem einzigen Ort gibt. Daneben kann man die Einteilung in Innere und Äußere Stile auch vollkommen weglassen, da diese Klassifizierung nicht sinnvoll sein kann.
Ein Vorschlag für eine Systematisierung wäre: R-St-K-F-Sy-G-S-L
Fett hervorgehoben ist das Beispiel für unseren Verein SAGD e.V.
Richtung | Traditionell // modern // Gesundheitssport |
Stamm | Nord-Stil // Süd-Stil // unabhängiger Stil |
Klasse | Nei jia // Wai jia // gemischter Stil |
Familie | Xingyi-Xinyi Familie // Nord-Shaolin Familie |
System (Tixi) | Xingyiquan // Taiji quan // Shaolin quan // Hung gar // Baji quan // etc. |
Gruppe | Hebei Xyq // Henan Xylhq // Shanxi Xyq // Dai She Xinyi |
Stil Pai = Familienstil Shi = Stil | Shang pai Xyq (Hebei), Yang She Taiji Quan |
Substil | Shang pai Xyq (Hebei) nach Lee Laoshe |
Vertretung | Marburger Shang Pai Xyq nach Lee Shifu |
Richtung
Jeder Stil kann verschieden Interpretiert werden, je nachdem welchen Hauptzweck man mit der Ausübung verfolgt. Man kann den gesundheitlichen Aspekt vor allem betonen (Atemübungen, Dehnung, Kräftigungsübungen), oder den Wettkampfaspekt in den Vordergrund stellen. Bei den modernen Interpretationen steht besonders der sportliche Wettkampf im Vordergrund, bei dem gegen jemand andereres die Perfektion von Formen (Tao lü) bemessen wird oder im direkten Zweikampf nach Regeln der bessere Kämpfer ermittelt wird. Ein besonderer Aspekt der modernen Spielart ist jedoch, dass die ausgeführten Techniken geregelt werden müssen um den Schiedsrichtern eine Punktevergabe zu ermöglichen und im Zweikampf schwere Verletzungen zu vermeiden. Daher unterliegen alle Kampfsportarten in diesem Sinne einer standardisierten Reglementierung, die auch eine Reduzierung der Technikvielfalt und Einschränkung der Trefferzonen zur Folge haben kann.
Im Gegensatz dazu sind bei traditionellen Stilen keinerlei Technikreglementierungen vorhanden, jedoch werden freie Zweikämpfe selten trainiert, da die Verletzungsgefahr sehr viel höher ist (Stiche in Augen oder an Kehle sind immer ernst zu nehmen). Als Folge dieser Differenzierung kann man auch die Unterscheidung zwischen modernen Kampfsportarten und traditionellen Kampfkünsten einführen, wobei Kunst nicht direkt etwas mit Ästhetik zu tun hat, sondern nur mit der martialen Kunst des Überlebens. In diesem Sinne sind die meisten traditionellen Kampfstile Kampfkünste, da sie vor allem die vollendete Kraftentfaltung, -transformation und –anwendung zum Ziel haben und sich weder im technischen Repertoir, noch in Kampfregeln einschränken lassen. Allein das Überleben und das Verständnis des Stils ist die Lebenskunst, die man im traditionellen Kampfstil erreichen möchte.
Stamm
Aus historisch-geopgraphischer Sicht macht es Sinn verschiedene Stile zusammenzufassen, da sie einen gemeinsamen kulturellen und technischen Hintergrund teilen. Im Norden werden z.B. Langstöcke (gun) länger als im Süden konzipiert und es gibt viele Einflüsse vom Kampf zu Pferd und andere Aspekte. Die historisch gewachsenen Metaphern und Konzepte unterscheiden sich großteils zwischen Nord- und Südstilen und auch das Waffenarsenal weist große Unterschiede auf. Nichtsdestotrotz können natürlich Gemeinsamkeiten zu finden sein zwischen nördlichen und südlichen Stilen; diese sind meist aber im Sinne von Analogien und nicht Homologien zu verstehen.
Klasse
Bestimmte Stile zeichnen sich durch eine gemeinsame Basis aus, wie z.B. die Internalisierung von Kreisbewegungen und Kraftgenerierung. Meist sind das anfänglich didaktische Unterschiede, welche sich bei hoher Kunst annähren und ineinander aufgehen. Dennoch ist es für den Einzelnen interessant, welche Didaktik angewendet wird um herauszufinden, was einem vom Naturell her liegt. Zur Unterscheidung von Nei Jia (inneren) und Wai Jia (äußeren) Kungfu Stilen siehe >>>. Zwischen diesen Extremen gibt es natürlich auch viele Abstufungen und Zwischenformen. Dabei sind die historischen Zwischenformen (Baji Quan, Tong Bei Quan) reich an eigener Terminologie und tiefe, wobei moderne Mischstile häufig mal hier mal dort bei einzlenen Aspekten der Inneren und Äußeren Stile bedienen um ein Potpourie an Theorie und Philosophie zu generieren.
System (Tixi)
Ein Kampfkusntsystem bestimmt sich durch eine kohärente Kampftheorie, Philosophie, Bewegungs-prinzipien (Kraftentfaltungen) und dergleichen mehr. Auch wenn andere Wörter oder Metaphern/Bilder verwendet werden, so besteht unter den Stilen eines Systems eine hochgradige Ähnlichkeit und Verständlichkeit. Die Idee, wie man mit dem Gegner umgeht und wie man Kraft entwickelt und überträgt sind hinreichend gleich. Die Bewegunsmuster und das ganze Körperschema ist hochgradig ähnlich innerhalb eines Systems, so dass man hier von starken gemeinsamen Wurzeln ausgehen kann.
Beispiele für Systeme sind: Xingyi Quan, Shaolin Quan, Tanglang Quan, usw.
Gruppe
Innerhalb eines Systems können historisch entstandene Gruppen auf verschiedene Aspekte konzentriert haben und diese detaillierter ausgebaut haben. So hat je nach Region, Großmeister oder Schule die Notwendigkeit bestanden mehr die Speertechniken zu vertiefen, oder die Schritttechniken auszufeilen, oder sogar diverse Tritttechniken zu entwickeln. Dadurch sind dann verschiedene Gruppen von z.B. Tang Lang oder Xingyi-Xinyi entstanden. Diese können chronologisch nacheinander, aber auch parallel entstanden sein.
Stil
Ein echter Stil zeigt sich durch gleiche Bewegungsabläufe, idetnische Techniken und ähnliche Formen aus, gekoppelt an eine gleiche Terminologie. Auch wenn es Unterschiede zwischen einzelnen Schulen oder Meistern gibt, so sind die Techniken direkt erkennbar. Meist ist ein historisch herausragender Meister seiner Kampfstilgruppe zu einem Stilbegründer geworden, wenn er nur genügend Schüler in seine Art des Kämpfens eingeführt hat. Die Stile sind hierbei besonders geprägt durch die Vorlieben des Meisters, seine Konstitution und seine Biographie. Und da jeder Mensch unterschiedlich ist wird (ein chinesischer) Kungfu Stil immer durch den Lehrer (Laoshe) beeinflusst und leicht modifiziert. Besonders einflussreiche und begabte Meister generieren über die Zeit hinweg somit einen eigenen Stil, der in allen kommenden Generationen tradiert wird und sich von ähnlichen Stilen wie Dialekte unterscheidet
Bsp.: Shang Pai Xingyi Quan, Cheng Bagua Zhang, Yang She Taiji Quan, usw.
Substil
Nicht jeder Meisterschüler lernt das volle Repertoir des Lehrers oder lernt zumindest einige Techniken und Formen anders als seine Mitschüler. Durch diese Unterschiede, die natürlich und angepasst an die individuelle Kompetenzen sind, kann es geschenen, dass selbst eine Generation nach dem Stilbegründer es kleine aber feine Unterschiede oder zumindest Betonungen im Training und den ausgeführten Techniken gibt. Da den meisten Meisterschülern aber klar ist, dass sie selbst vermutlich nie die gleiche Kompetenz ihres Lehrers erreichen werden, versuchen nicht einen eigenen Stil zu begründen. Sie trainieren mit ihren Fähigkeiten und Möglichkeiten einfach den Stil, wie sie ihn sich erschließen und orientieren sich weiterhin an die Vorgaben und Hinweise des Meisters. Auf dieser Ebene kann man vielleicht von Substilen sprechen, da das Ziel immer noch ist den authentische Kampfstil zu erhalten und nicht diesen abzuändern.